Ansprache zur Stolperstein­verlegung am 16.07.2018 für Johann Vogl

Wer also war dieser Johann Vogl?

Rainer Auer, 1. Bürgermeister von Stephanskirchen, ist Pate für den Stolperstein für Johann Vogl und hielt am 16. Juli 2018 diese Rede:

 

Mit einer bloßen Biographie ist dem Menschen Johann Vogl nicht ohne weiteres nahe zu kommen. Trotzdem zunächst hier ein paar Daten:

Als erster von zwei Söhnen seiner Eltern Michael und Maria Vogl wurde er in Rosenheim 1898 geboren. Sein Vater, der bereits zwei weitere Kinder aus einer früheren Verbindung mit in die Ehe brachte verstarb früh. Der kleine Johann war erst zwei Jahre alt, als der Vater bei einem Arbeitsunfall am Bahnhof Rosenheim tödlich verunglückte. Die Mutter zog daraufhin mit den Kindern nach Pfaffenhofen wo sie erneut heiratete und mit ihrem neuem Ehemann drei weitere Kinder bekam.

Man kann wohl sagen, dass Johann Vogel in einer Situation aufwuchs, die man heute als Patchworkfamilie bezeichnen würde.

Er besuchte die Volksschule in Rosenheim und arbeitete auf dem elterlichen Hof mit. Bald schon wurde er als Rekrut zum Militär eingezogen wo er im Laufe des ersten Weltkriegs an der Front in Frankreich kämpfte, verwundet wurde und zur Genesung zurück nach Deutschland geschickt wurde. Bis hierher lässt sich aus der Schilderung seines Lebens zwar einiges an Dramatik erahnen, es unterscheidet sich dadurch aber wohl nicht von vielen anderen Schicksalen in jener Zeit.

Bemerkenswert ist vielmehr sein politisches Engagement, nachdem er vom Krieg heimgekehrt ist:

Bemerkenswert ist auch die Art und die geschliffenen Formulieren, wie er seine Gedanken niederschreibt. Er, der eigentlich über keine weiterführende Schulbildung verfügte, lässt in erhaltenen Schriftstücken und Protokollen eine besondere Gedankentiefe sichtbar werden und begründet seine moralischen Vorstellungen mit wohlgesetzten Worten.

Bereits 1921 schrieb Johann Vogl einen Brief an seine Eltern, der auch mich berührt hat. Unter anderem begründet er in diesem Brief seinen Kirchenaustritt:

Wörtlich schrieb er: Er lehne es ab, „ein Christsein zu heucheln, dabei aber das erste Kennzeichen der Christenheit, die Nächstenliebe zu verachten und in der Gier nach Irdischem den Mitbruder zugrunde richten.“

Exemplarisch auch, was er später, im Jahr 1936 im Rahmen seiner Vernehmung durch die Gestapo bezüglich seiner Weltanschauung zu Protokoll gab:

„Teilweise schon durch die Jugend- und Kriegserlebnisse entwickelte sich in mir eine Lebensauffassung und Weltanschauung, die mit den eigenen wirtschaftlichen, familiären und kulturellen Verhältnissen sowie mit den gesellschaftlichen Einrichtungen größtenteils im scharfen Widerspruch stand. Aus diesem Grunde schloss ich mich in den Jahren 1926-27 den mir weltanschaulich nahestehenden Organisationen wie Verband der proletarischen Freidenker, Arbeiter-Radfahrer „Solidarität“, freie Turnerschaft, Rote Hilfe und der Opposition der freien Gewerkschaft an…“

Daraufhin wurde Johann Vogl in das KZ Dachau verschleppt. Er blieb dort bis zu seinem Tod. Johann Vogl wurde an seinem 40´ ten Geburtstag, am 27. März um 13.15 Uhr ermordet.

War er nun ein Held, unser Johann Vogl?

Ich selbst tu mir schwer mit diesem Begriff. Zu oft wurde er missbraucht, um den Tod sinnlos geopferter Menschen im Nachhinein zu rechtfertigen. Zu oft wurden im Nachhinein gerade gefallene Soldaten zu Helden verklärt, im positivsten Fall, um den Angehörigen den Verlust leichter zu machen, im negativsten Fall, um weitere Opferbereitschaft in den Knochenmühlen der Kriege zu erlangen.

Nein, in diese Reihe von Opfern aber auch Tätern, die gerade in der damals finsteren Zeit getötet wurden oder getötet haben will ich Johann Vogl nicht stellen.

Für mich ist er vor allem eines: Ein großes Vorbild! Ein Mann, zwar körperlich klein gewachsen, aber mit einem Mut und einem Rückgrat, welches mich schwer beeindruckt.

Im Rahmen meiner Recherchen bin ich ihm auch persönlich näher gekommen:

Johann Vogl, ich hätte Dich gerne kennen gelernt!

Ich hätte auch gerne gewusst, wie Du unsere Zeit siehst. Eine Zeit, die so reich und satt ist, wie nie zuvor in der Geschichte dieses Landes. Ich hätte gerne gewusst, was Du darüber denkst, dass unser wichtigstes Bestreben weiterhin dem Ziel gilt, unseren materiellen Konsum in teilweise absurde Höhen zu treiben.

Gerade, wo Du doch schon damals kritisiert hast, dass unsere Gier auf irgendjemandes Kosten gehen muss!

Ich hätte auch gerne gewusst, wie Du es findest, dass es Populisten trotzdem gelingt, uns trotz unseres Reichtums kräftig Angst zu machen. Und vermutlich hättest Du es beim Namen genannt: Unsere Angst ist die Angst davor, teilen zu müssen!

Vielleicht, vielleicht würdest Du Dich mit der katholischen Kirche wieder ein wenig versöhnen, jetzt wo es einen Papst gibt, der die Nächstenliebe und nicht die katholische Kirchenpolitik in den Vordergrund stellt.

In einer Sache bin ich mir ganz sicher: Du würdest uns etwas über die angepassten Mitbürger Deiner Zeit erzählen. Über die vielen, die weggesehen haben, als Leute wie Du für Ihren Kampf um Gewissensfreiheit verurteilt, weggesperrt und ermordet wurden. Du würdest uns erzählen, dass im Grunde die Stromlinienförmigen das Problem waren. Jene die immer nur das denken, was sie zu denken haben, das sagen, was alle sagen und die eigene kritische Überlegung für einen verzichtbaren Luxus halten.

Und hier lieber Johann, hier hast Du uns etwas sehr wichtiges Voraus. Du hast erlebt, dass es gerade die Mitläufer sind, die die Voraussetzung für jedes diktatorische Regime darstellen. Und ich glaube, Du würdest uns alle bei diesem Hinweis sehr eindringlich ansehen.

Johann Vogl, ich hätte Dich gerne kennen gelernt!

Wer war also dieser Johann Vogl – Rede von Rainer Auer (pdf)