Bei der dritten Verlegung im Landkreis Rosenheim am 21.03.2023 verlegte Gunter Demnig zwei Stolpersteine vor dem Rosenhof in Pinswang (Gemeinde Neubeuern):
Ein Stein erinnert an Dr. Heinz Kerb:
Ein Stein erinnert an Dr. Erich Ephraim Spiegelberg:
Dr. Kerb sowie Dr. Spiegelberg waren dem heutigen Kinderheim Rosenhof in Pinswang / Neubeuern in den 1930er Jahren in unterschiedlicher Weise verbunden.
Dr. Heinz Kerb:
Dr. Heinz Kerb betrieb mit seiner Frau Henriette zusammen bis zu seinem Tod 1938 den „Rosenhof“ in Pinswang.
Er wurde am 07.08.1883 in Berlin als Heinrich Kerb geboren, die Familie war jüdischen Glaubens.
Der Vater Moritz Kerb war Geschäftsmann in Berlin.
Familie Kerb entschied sich zum evangelischen Glauben zu wechseln, vielleicht auch, um den damals schon häufigen Anfeindungen gegenüber Menschen jüdischen Glaubens zu entgehen. So wurde Heinz Kerb 1884 evangelisch getauft.
Heinz Kerb ging in Berlin auf Joachimsthalsche Gymnasium und studierte Biologie in Berlin und Göttingen, wo er 1908 zum Dr. phil. promovierte.
Er war außerdem Gründungsvorsitzender des Akademischen Vereins für Arbeiterunterichtskurse e.v. in Berlin. Zu dieser Zeit lebte Dr.Kerb mit einer Berlinerin zusammen, die er heiraten wollte.
1912 bekam er ein interessantes Angebot für einen Forschungsauftrag in Bergen in Norwegen, das er sofort annahm. Er bekleidete während dieser Zeit den Titel eines Vizekonsuls.
Ebenfalls zu dieser Zeit schrieb Dr Kerb das biologische Fachbuch „Regeneration und Überwinterung bei Ascidien“. Durch den Umzug nach Norwegen trennten sich die Wege zwischen Heinz Kerb und seiner Verlobten.
Dr Kerb meldete sich freiwillig als Soldat für den ersten Weltkrieg, obwohl er nie gedient hatte und gegen den ausdrücklichen Willen des Generalkonsuls Graf Oberndoorf.
Er wollte sich zur Luftwaffe melden, was aber nicht mehr möglich war und meldete sich dann 1915 zu den Braunschweiger Husaren.
1915 trat Dr Kerb in die Ersatzschwadron Braunschweig ein und kam am 22.07.1915 ins Feld zur 6.Schwadron des aktiven Regiments. Er war bis zum Ende des 1.Weltkriegs 1918 ausschließlich im Frontdienst eingesetzt.
Für diesen Einsatz wurde Dr Kerb zum Leutnant befördert und nach dem Krieg für besondere Dienste an der Front ausgezeichnet.
1918 direkt nach dem ersten Weltkrieg übersiedelte Dr. Heinz Kerb nach Rosenheim und begann ein Jurastudium an der Ludwig-Maximilians-Universität München, das er erfolgreich abschloss.
1925 eröffnete er in Rosenheim zuerst in der Innstrasse 1 ein Steuerberatungsbüro, zog dann in die Innstrasse 3 um.
Zu Beginn der 1930er Jahre lernte Dr. Heinz Kerb dann Frau Henriette Plest kennen. Frau Plest bewirtschaftete in Neubeuern Pinswang einen landwirtschaftlichen Betrieb.
1932 heiraten sie in Neubeuern, 1933 wurde die gemeinsame Tochter Ruth Kerb geboren.
Nach der Heirat entschied sich die Familie Kerb den Hof weiter zu bewirtschaften und eine Ferien-pension einzurichten. Das Anwesen von Henriette Kerb war als landwirtschaftlicher Ausbildungsbetrieb bekannt. Außerdem war es ihr Wunsch, in dem Anwesen ein Kinderheim zu eröffnen.
Nach der Machtergreifung durch die Nazis aber wurde alles anders. Aufgrund der jüdischen Herkunft von Dr. Heinz Kerb verboten die Nazis ihnen die Beschäftigung landwirtschaftlicher Lehrmädchen, das Kinderheim durften sie nicht für „arische“ Kinderbetreiben.
1933 musste Dr. Heinz Kerb auch seine Steuerkanzlei schließen, weil die Nationalsozialisten ihm als „Nichtarier“ die Zulassung als Steuerberater entzogen.
Er war darüber sehr enttäuscht, da er gehofft hatte, durch seinen Einsatz im ersten Weltkrieg und seine Auszeichnung mit dem Ehrenkreuz der Frontkämpfer würde man davon absehen.
Immer wieder versuchten Heinz und Henriette Kerb, doch noch die Genehmigung für ein Kinderheim zu erwirken.
Nachdem ihnen auch verboten wurde Lehrmädchen einzustellen, versuchten sie, Personal auf anderen Wegen zu finden. Auch das wurde ihnen verboten. Schließlich wurde Dr. Kerb der Prozess gemacht, da er als Jude gegen die Rassengesetze verstoßen habe.
Die Familie wurde durch die Nationalsozialisten immer mehr drangsaliert und verfolgt. Ihnen wurde angedroht, dass der Auslandpass entzogen wird, da Dr. Kerb versucht hatte, in Österreich Personal zu finden, damit der Betrieb anständig weitergeführt werden kann.
Trotz dieser Situation versuchte Familie Kerb, den Rosenhof als landwirtschaftlichen Betrieb und Pension weiter zu betreiben.
Mitbedingt durch die dauernden Attacken, Prozesse, Anfeindungen durch die Nationalsozialisten erkrankte Dr. Heinz Kerb. Am 26.12.1938 verstarb er bei einer notwendig gewordenen Magenoperation im Krankenhaus Bad Aibling.
Seine Frau Henriette war der festen Überzeugung, dass ihr Mann wegen der brutalen Vorgehensweise der Nationalsozialisten erkrankt und verstorben ist.
(Recherche: Christoph Bensch-Andrä)
Dr med.Erich Ephraim Spiegelberg.
Erich Spiegelberg wurde am 27.09.1877 in Hannover geboren. Die Eltern waren Eduard Spiegelberg und Antonia Spiegelberg (geb. Dux). Er hatte drei ältere Brüder:
Johann (später John), geboren 12.12.1868 Hannover, gestorben 1939 New York. Seine Tochter Antonie Spiegelberg war Kinderärztin.
Wilhelm, Ägyptologe, geboren 25.06.1870 Hannover, gestorben 23.12.1930 München.
Georg Gerson, geboren 29.01.1873 Hannover, gestorben 13.10.1961 Cotebrook, England
Nach dem Medizinstudium in München promovierte Dr Spiegelberg in Straßburg 1905 mit der Dissertation „Ein Fall von Chorioepithelioma malignum“. Er war Mitglied der Münchner Gesellschaft für Kinderheilkunde.
Von 1908-1909 diente er als Sanitätsoffizier in der Bayrischen Armee.
Nach dem Studium ließ sich Dr. Erich Spiegelberg in Berlin nieder. Am 01.01.1910 heiratete er in Berlin-Charlottenburg Luisa Schirmer, geboren am 14.03.1890 in Basel. Ihre Tochter Maja kam am 13.12.1913 in Berlin Charlottenburg zur Welt.
Mitte der 30er Jahre erfolgte die Scheidung von Frau Luise Spiegelberg, die beantragt, wieder den Mädchennamen Schirmer anzunehmen. Sie verstarb 1944.
Dr. Erich Spiegelberg führte seine Praxis bis 1938 als Internist , Spezialist für Magenerkrankungen, fort, erst am Kurfürstendamm 203/204, zuletzt in der Lietzenburger Str. 45 in Berlin.
Am 27.06.1938 zog Dr. Spiegelberg nach Pinswang in den Rosenhof. Möglich ist, dass er Dr. Kerb aus Berlin kannte. Eventuell hatte sich Dr Spiegelberg erhofft, im Kinderheim ärztlich zu unterstützen, was sich aber aufgrund der Situation und den Attacken der Nationalsozialisten schnell als unmöglich herausstellte.
Warum er nur kurz im Rosenhof blieb, wissen wir nicht. Er zog am 12.09.1938 nach München in die Pension Liesecke, Max-Joseph-Straße 6/III.
Der Entzug der Approbation, festgelegt in der 4. Verordnung zum Reichsbürgergesetz am 30. September 1938, muss ihn schockiert haben. Er kehrte nicht nach Berlin zurück.
In dieser Zeit besuchte ihn seine Tochter Maja ein letztes Mal, bevor sie Deutschland Richtung Amerika verließ.
In München musste er die Pogromnacht miterleben, wurde aber nicht wie viele seiner Leidensgenossen nach Dachau verschleppt.
Mittlerweile geschieden, getrennt von seiner Familie und Tochter , als Jude gequält , drangsaliert , seines Berufes entzogen , sah Dr Erich Spiegelberg in dieser Situation nur noch den Ausweg sein Leben selbst zu beenden.
Am 11.07.1939 vergiftete sich Dr. med. Erich Ephraim Spiegelberg in München.
Es war eine bewegende Veranstaltung, an der die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Bewohnerinnen und Bewohner des heutigen Kinderheims „Rosenhof“ bzw. „Kinderhaus Kerb“ teilnahmen, ebenso viele andere Interessierte. Der Bürgermeister von Neubeuern Christoph Schneider hielt eine engagierte Rede, ebenso Heiner Koch, der Geschäftsführer des Albert-Schweitzer-Familienwerks Bayern. Im Anschluss an die Verlegung konnten alle die Kinderdorfhäuser besichtigen und sich bei einem reichhaltigen Buffet stärken.
Herzlichen Dank an das Albert-Schweitzer-Familienwerk!