Faces for the Names Rosenheim

Am Freitag, 10.9.2021 um 20 Uhr war es soweit: Die erste Vorführung dieses großartigen Formats in Rosenheim!

Faces for the Names an der Mädchenrealschule (Fotos Julian Giebelen)

Dafür, dass sie kurz vor Ende der Sommerferien stattfand, war sie mit ca. 40 Menschen gut besucht.
Nach der warmherzigen Begrüßungsrede von Schuldirektorin Magdalena Singer, habe ich einiges zum Thema gesagt:

Liebe Frau Singer, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schülerinnen und Schüler,

Herzlich willkommen bei der ersten Veranstaltung von „Faces for the Names“ in Rosenheim.

Faces for the Names – das ist das berührende Projekt von Julian Giebelen und Terry Swartzberg, dem Sprecher der Münchener Stolpersteininitiative und Initiator der Gruppe J.E.W.S. – Jews Engaged With Society – von Juden, die sich gesellschaftlich engagieren. Auch ich gehöre dazu.
Faces for the Names – da bekommen wir zu den Namen, die wir schon kennen, Gesichter gezeigt. Namen von Menschen, die von den Nazis ausgelöscht werden sollten, die aber in unserer Erinnerung lebendig bleiben. Sie wurden deportiert und ermordet, statt ihres Namens erhielten sie Nummern. Durch die Stolpersteine werden ihre Namen wieder an den Ort zurückgebracht, wo sie gelebt, gearbeitet, gelernt haben. Sie waren Regimegegner aus Politik, Gewerkschaften oder religiösen Kreisen, sie waren psychisch krank oder Homosexuelle, sie wurden rassistisch verfolgt als Sinti und Roma oder als Juden.
Faces for the Names erleuchtet uns im wörtlichen Sinn. In einem Gebet für die Opfer der Shoah, das wir später noch komplett vortragen werden, heißt es:
„Wie Kerzen leuchten sie aus der Dunkelheit jener Jahre heraus, und in ihrem Licht erkennen wir, was gut ist –und was böse.“

Vielen Dank, dass wir hier in der Mädchenrealschule zu Gast sein dürfen. Es ist eine besondere Schule, die auch die Erinnerung an eine besondere Schülerin pflegt: Elisabeth – Lisi – Block. Vor drei Jahren haben wir für sie, für ihre Eltern Mirjam und Fritz und ihre Geschwister Trudi und Arno Stolpersteine vor ihrem Haus in Niedernburg bei Prutting verlegt. Diese Schule hat die Patenschaft für einen der Steine übernommen.
Umgekehrt bin auch ich zum Paten der Schule geworden – für ihr Projekt „Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage“. Darauf bin ich sehr stolz. Ich erinnere mich an einen eiskalten Wintertag, wo wir alle mit Kerzen auf dem Max-Josefs-Platz ein Zeichen gegen Rassismus setzten – so herzerwärmend.

Viele Menschen unterstützen unser Ziel, Stolpersteine in Rosenheim zu verlegen – auch auf öffentlichem Grund. Nicht alle können heute hier sein.
Die Bundestagsabgeordnete Daniela Ludwig lässt sich wegen des Parteitags entschuldigen, sie wünscht uns gutes Gelingen.
Und der Schauspieler, Musiker und Schriftsteller August Zirner kann heute ebenfalls nicht hier sein, schickt uns aber diese Botschaft.

Die Kraft der Erinnerung wird vielleicht nirgends so deutlich wie in der Geschichte der Tagebücher, die Elisabeth Block vor ihrer Deportation 1942 an eine gute Freundin übergab, die alles sorgsam aufbewahrte. Doch ohne die Erinnerung eines fünf Jahre alten Kindes wären sie wohl nie veröffentlicht worden.
Asher Frensdorff, ein Neffe von Mirjam Block, hatte die Familie im Sommer 1936 als Fünfjähriger in Niedernburg besucht. Zwei Jahre später wurde sein Vater, der Kinderarzt Fritz Frensdorff aus Hannover, von den Nazis in den Tod getrieben; daraufhin flüchtete seine Witwe mit Asher und seinem Bruder nach Palästina.
Jahrzehnte später reiste Asher Frensdorff, inzwischen Professor der Molekularbiologie, zum ersten Mal wieder nach Deutschland und begab sich auf die Suche: „Obwohl ich nur schemenhafte Erinnerungen, vor allem an die Landschaft, bewahrt hatte, erkannte ich das Haus der Familie Block.“
Was für eine Erinnerungsgabe!
Die damaligen Bewohner schickten ihn zum Haus, wo die Tagebücher verwahrt wurden, zusammen mit dem Familiensilber, einigen Schmuckstücken und vielen Fotos – auch denen, die wir heute zeigen. Asher Frensdorff nahm alles mit nach Israel. Einige Jahre später, 1994, wurden die Tagebücher vom Historischen Verein Rosenheim veröffentlicht. Das Buch heißt „Erinnerungszeichen“ und wurde von Prof. Manfred Treml und Dr. Peter Miesbeck herausgegeben.
Und noch viel später übergab die Familie die Original-Tagebücher ans Stadtarchiv Rosenheim. Dort durfte ich sie anschauen und war ganz berührt, als ein getrockenetes Edelweiß herausfiel. Natürlich habe ich es zurückgelegt.
Über Lisis Geschichte und ihr Tagebuch hören wir nun einen preisgekrönten Beitrag des Schulradioprojektes „Simsseewelle“ der Otfried-Preußler-Mittelschule Stephanskirchen, der in Zusammenarbeit mit Schülerinnen der Mädchenrealschule Rosenheim entstand.

Lisi Block an ihrer alten Schule

„Die letzten Seiten der Tagebücher sind auch heute noch…herzzerbrechend.“
Das schrieb Margarete Hinrichsen 1993 in ihrem Vorwort zum Buch „Erinnerungszeichen“. Mit ihr hatte ich vor Jahren den ersten persönlichen Kontakt zu Familienangehörigen der Block. Auf meinen Brief hin rief mich aus London an, schon damals weit über 90 Jahre alt, und sagte mit klarer Stimme in bestem Hannoveraner Hochdeutsch: „Aber natürlich dürfen Sie für die Blocks Stolpersteine verlegen lassen! Für unsere Verwandten in Hannover und Berlin gibt es auch schon welche.“
Vor drei Jahren bei der Verlegung in Niedernburg lernte ich weitere Angehörigen der Familie Block aus England und Israel kennen, mit der ich bis heute im Kontakt bin. Sie schicken uns herzliche Grüße.
Und sie haben einen Wunsch: Sie wollen, dass für Lisi Block auch genau hier ein Stolperstein verlegt wird, vor ihrer alten Schule.
Dieser Wunsch lässt sich nur mit der Genehmigung der Stadt Rosenheim erfüllen. Und hier sind leider einige mit immer denselben Argumenten dagegen. Langsam habe ich keine Lust mehr, dazu etwas zu sagen. Deshalb lasse ich jetzt stattdessen unseren Bundespräsidenten zu Wort kommen. Bei einer Verlegung vor zwei Wochen in Berlin sagte er:

“Ich danke all denjenigen, die die Stolpersteininitiative gegründet, gefördert, bis in unsere heutigen Tage getragen haben, weil sie eben auch jüngere Leute, jüngere Generationen über unsere eigene Geschichte stolpern lässt; nachdenken lässt darüber, was an Unrecht geschehen ist und mithelfen lässt, dass solches nie wieder geschieht.”

Wie recht er damit hat, bestätigen diese O-Töne von Schülerinnen und Schülern des Schulradioprojektes.

Der Schriftsteller George Santayana hat mal gesagt: „Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen“. Und das kann niemand wollen.
Es geht nicht um Schuldzuweisungen. Der KZ-Überlebende Max Mannheimer, der lange an Rosenheimer Schulen als Zeitzeuge tätig war und leider vor drei Jahren gestorben ist, hat gesagt: „Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah, aber dafür, dass es nie wieder geschieht”
Eine andere Zeitzeugin, Anita Lasker-Wallfisch, Überlebende des Mädchenorchesters Auschwitz, sprach vor vier Jahren hier an der Schule. Über ihre Erlebnisse in Rosenheim hat sie im Januar 2018 im Deutschen Bundestag berichtet.
„Seit Jahren bin ich regelmäßig hier eingeladen und habe einen sehr positiven Kontakt mit jungen Menschen. Bei meinem letzten Besuch habe ich etwas erlebt, was weniger positiv war. Ich war in Bayern, in Rosenheim. Zwei wirklich bewundernswerte Geschichtslehrerinnen hatten mit Riesenenthusiasmus und ohne irgendeine offizielle finanzielle Hilfe eine Lesereise in Schulen in Traunstein organisiert. Der Plan war, zwei sehr unterschiedliche Augenzeugen zu Wort kommen zu lassen: Niklas Frank, Sohn von Hans Frank, Generalgouverneur von Polen und auch „Judenschlächter“ genannt, und ich.
Wir trafen uns im Restaurant meines Hotels und besprachen die bevorstehenden Termine. Ein Mann in der Nähe hatte offensichtlich die Ohren gespitzt, kam wütend an unseren Tisch und beschwerte sich, dass wir hier die schöne Atmosphäre mit diesen Auschwitz-Geschichten verderben und Ähnliches. So etwas wäre vor, sagen wir, fünf Jahren vielleicht nicht möglich gewesen – also aufpassen.“

Aufpassen müssen wir. Wir müssen absolut intolerant sein gegen Intoleranz! Das sind wir Lisi Block und sechs Millionen ihrer Leidensgenossen schuldig.
Wir dürfen den neuen Nazis keinen Raum geben, müssen uns ihnen entgegen­stellen. Zum Beispiel am 17.9. um 17 Uhr am Bahnhof Rosenheim – da startet eine Demo gegen eine AFD-Wahlkampfveranstaltung. Also: 17.9., 17 Uhr.
Aber wir müssen keine Angst haben vor denen. Sie sind eine kleine Minderheit, die dann gefährlich ist, wenn eine Mehrheit der Gleichgültigen sie gewähren lässt. Unsere Arbeit muss dafür sorgen, dass die Gleichgültigen keine Macht haben und keine Mehrheit werden.
So verstehen wir lebendige Erinnerungskultur.

Zum Schluss wollen wir ein Lied hören, das Lejb Rosenthal 1943 im Ghetto komponierte:  „Mir lebn eybik“. Esther Bejarano hat es gesungen. Auch sie war im Mädchenorchester Auschwitz, sie war nur anderthalb Jahre jünger als Lisi Block. Vor zwei Monaten ist sie leider im Alter von 96 Jahren verstorben. Doch bis kurz vor ihrem Tod stand sie auf der Bühne, kämpfte mit Musik und Worten gegen alte und neue Nazis.
Wir möchten jetzt Kaddish sagen für Lisi Block und für ihre Familie und auch für Esther Bejanano.

Gebet „Gedenken an die Shoah“

Terry Swartzberg und Tom Nowotny

Julian Giebelen bei der Arbeit (Foto Nowotny)

1000 Dank an Terry Swartzberg und an Julian Giebelen! Es war eine sehr sehr berührende Veranstaltung.

Glücklicherweise hielt das Wetter bis zum Schluss – und auch auf Erden fand das Projekt die nötige Resonanz.

WIe immer bekam Lisi jede Menge Likes auf Facebook

Schon vorab hatten das OVB, der BR und Radio Charivari unsere Ankündigung veröffentlicht…

Ausführlich berichteten dann OVB und RFO.

Eine weitere Projektion am 30.09.2021 folgte der Spur der Stolpersteine, die im Juni 2021 in der Stadt Rosenheim verlegt wurden.

Andreas Salomon stellt die Biographie von Ewald Thunig vor.

An der Fassade des Gewerkschaftshauses in der Brixstr. 2 wurde das Portrait von Ewald Thunig gezeigt und gleichzeitig seine Biographie vorgestellt.

August Zirner berichtet über Alexander Wieners Verfolgung durch die Bayerische Politische Polizei.

Am Wohn- und Geschäftshaus in der Münchener Str. 28 erinnerten wir an Alfred und Charlotte Wiener, während der Schauspieler und Musiker August Zirner Ausschnitte aus Polizeiprotokollen verlas.

Franz Gory Kaufmann

Am C&A-Gebäude in der Bahnhofstr. 8 schließlich gedachten wir des Sinto-Musikers Franz Gory Kaufmann und hörten den eindrucksvollen Beitrag des Schulradioprojektes „Simsseewelle„.