Johann Vogl

IN MEMORIAM

JOHANN VOGL

GEBOREN 27. MÄRZ 1898 IN ROSENHEIM

ERMORDET 27. MÄRZ 1938 IN DACHAU

Portrait aus dem Jahr 1935 (Familienbesitz)

Kindheit und Jugend

Johann Vogl wurde am 27. März 1898 als Sohn des Lokomotivheizers Michael Vogl und seiner Frau Maria (geb. Mayer) in Rosenheim geboren. Die junge Familie lebte in der Münchner Str. 86b in Rosenheim. Am 8. April 1899 kam der Bruder Georg zur Welt.

Der Vater starb am 18. März 1900 im Alter von nur fünfzig Jahren bei einem Arbeitsunfall am Rosenheimer Bahnhof. Seine Witwe zog nach Pfaffenhofen am Inn, wo sie einen Bauernhof geerbt hatte.

Johann Vogl 1918 (Familienbesitz)

Neben ihren Söhnen Johann und Georg nahm sie zwei minderjährige Kinder aus vorangegangenen Ehen des Vaters mit nach Pfaffenhofen. 1904 heiratete Maria Vogl den Fürstätter Bauern Georg Kiener, der bereits drei Kinder hatte. Nach Verkauf seines Anwesens betrieben sie gemeinsam den Hof in Pfaffenhofen. Das Ehepaar Kiener bekam drei weitere Kinder.

Über seinen Werdegang teilte Johann Vogl mit: „Nach Besuch der Volksschule in Rosenheim und Pfaffenhofen arbeitete ich kurze Zeit im elterlichen landwirtschaftlichen Anwesen, besuchte dazwischen etwa 6 Monate lang die Landwirtschaftsschule in St. Ottilien und rückte im Jahre 1916 als Rekrut zum 12. Inf. Regt. nach Ulm ein. Im März 1917 kam ich zum 12. Res. Inf. Regt. nach Frankreich und kämpfte bis März 1918 an der Front. Durch eine Erkrankung u. Verwundung wurde ich in die Heimat verbracht, nach Wiederherstellung meiner Gesundheit wurde ich aus dem Lazarett in Bremen entlassen und in die Garnison Memmingen kommandiert. Dort verblieb ich bis zum Ausbruch der Revolution 1918.

Von diesem Zeitpunkt ab erfolgte meine Abstellung zum Grenzschutz nach Garmisch. Nach Auflösung des Grenzschutzes kam ich mit meinen anderen Kameraden über Memmingen nach München zurück und wurde etwa im März oder April 1919 aus dem Heeresdienst entlassen.

Ich arbeitete hernach wieder im elterlichen Anwesen und besuchte im Winter 1919-20 die Landwirtschaftsschule Ottilien.“

Auf eigenen Füßen

Wie der Neffe Leopold Vogl aus Erzählungen weiß, blieben Johann und sein Bruder Georg nach ihrer Entlassung aus dem Wehrdienst 1919 zunächst in München und folgten nur ungern der Aufforderung des Stiefvaters, auf den elterlichen Hof zurückzukommen, wo er sie offenbar als billige Arbeitskräfte halten wollte. 1920 verließ Johann Vogl endgültig das Elternhaus und verdingte sich als Bahnarbeiter, Waldarbeiter und Gärtner in Bad Tölz, Aschau und Prien sowie in Kochel am See.

Maria und Johann Vogl vor ihrem Kiosk am Schlossberg (ohne Jahr, Privatbesitz)

Weihnachten 1920 verlobte sich Johann Vogl mit Maria Grünauer aus Holzgaden, Gemeinde Grünthal bei Wasserburg, geboren am 28. Juni 1898. Den Segen ihrer Eltern erhielten die beiden sofort; die eigenen Eltern informierte Johann Vogl erst in einem Brief vom 24. Februar 1921 und bat sie in wohlgesetzten Worten um Verständnis für seinen eigenen Weg.

Keine zwei Monate später, am 21. April 1921, fand die Hochzeit in Niederaschau statt. Gefeiert wurde zwei Tage später im Gasthaus „Zur Eisenbahn“ in der Münchner Straße 86b in Rosenheim. (Das Haus hatte Johanns Vater gehört, sein Stiefvater hatte es Ende 1920 verkauft, der Streit um die Erbschaftsansprüche blieb später ungeklärt.)

Zur Feier beim Gebirgstrachtenerhaltungsverein „Dö Griabinga“ war „Erscheinen in Gebirgs- oder Volkstracht“ erwünscht. Unterzeichnet war die Einladung „Das Brautpaar: Marie Grünauer. Hans Vogl, Bauerssohn in Pfaffenhofen b. Rosenheim“.

Das junge Paar wohnte zunächst bei Marias Eltern in Niederaschau, später in Kaltwies 46, Gemeinde Happing,
ab 1. Mai 1929 „in Kuglmoos Nr. 157, Gemeinde Stephanskirchen“. Die Ehe blieb kinderlos.

Über seine berufliche Tätigkeit nach der Hochzeit machte Johann Vogl folgende Angaben:

„Hernach arbeitete ich als Tagelöhner bei Kramer-Klett in Aschau. Vom Jahre 1923 bis 1926 war ich als Gärtner bei Frau von Klenau in Beuerberg beschäftigt. Etwa im Jahre 1926 übernahm ich eine Reisevertretung für Waschmittel u. dergl. Inzwischen hatte ich mir in Schlossberg einen Kiosk erworben und im Jahre 1931 pachtete ich mir einen solchen in Redenfelden. In der Regel wird der Kiosk in Schlossberg von mir und der in Redenfelden von meiner Frau geführt.“

Politisches Engagement

Schon in seinem Brief an die Eltern 1921 grenzte sich Johann Vogl klar von Zeitgenossen ab, die als „neuzeitliche Raubritter“ nach Reichtum jagten, „was nur durch Unterdrückung und gewissenlose, gesetzlich unterstützte Ausnützung des Mitmenschen möglich ist,“ und die „sich Christen heucheln, dabei aber das erste Kennzeichen der Christenheit, die Nächstenliebe verachten und in der Gier nach Irdischem den Mitbruder zugrunde richten.“ Im September 1923 trat Vogl aus der Kirche aus.

Nach seiner Verhaftung 1936 erklärte Johann Vogl der Gestapo gegenüber:

„Hinsichtlich meiner politischen Betätigung möchte ich folgendes diktieren: Teilweise schon durch die Jugend- und Kriegserlebnisse entwickelte sich in mir eine Lebensauffassung und Weltanschauung, die mit den eigenen wirtschaftlichen, familiären und kulturellen Verhältnissen sowie mit den gesellschaftlichen Einrichtungen größtenteils im scharfen Widerspruch stand. Aus diesem Grunde schloss ich mich in den Jahren 1926-27 den mir weltanschaulich nahestehenden Organisationen wie Verband der proletarischen Freidenker, Arbeiter-Radfahrer „Solidarität“, freie Turnerschaft, Rote Hilfe und der Opposition der freien Gewerkschaft an…

Mitglied der KPD. war ich nicht.“

Als Aktivist der Roten Hilfe wurde Johann Vogl Ende der 1920er Jahre aktenkundig, so in einer Anfrage der Polizei wegen einer Weihnachtspostkarte an einen politischen Gefangenen. Der Stadtrat antwortete: „Als Mitunterzeichner … kommt in Frage Johann Georg Vogl, verh. Reisevertreter, konfessionslos (früher katholisch)…

Vogl betreibt auf dem (durch die Innbrücke von der Stadt Rosenheim getrennten) Schlossberg Gemeinde Stephanskirchen – in Nähe der Autowerkstätte Kronbichler – einen Kiosk, in welchem sich nach Mitteilung der Gendarmerie sehr oft Kommunisten aufhalten und besprechen…

Sonst liegt Nachteiliges über Vogl nicht vor.“

Am 30. Januar 1931 meldete sich Vogl bei einer NSDAP-Versammlung zu Wort, bekam aber Redeverbot.

Bei einer weiteren Versammlung am 4.Oktober 1932 durfte er sprechen und warnte, „dass nur die NSDAP die Versklavung der Arbeiter bringen werde…“

Verfolgung

Unmittelbar nach der Machtergreifung begann die Verfolgung. Johann Vogl gab 1936 zu Protokoll: „Wegen meiner Tätigkeit in den angeführten Organisationen und weil ich meine politische und weltanschauliche Überzeugung auch niemals verhehlte, also aus meinem Herzen keine Mördergrube machte, wurde ich bei der nationalen Erhebung am 10.3.1933 in Schutzhaft genommen und bis 5.5.1933 im Amtsgerichtsgefängnis Rosenheim verwahrt.“ Im Juni 1933 erhielt Johann Vogl einen Strafbefehl über 30 Reichsmark, ersatzweise 10 Tage Haft, wegen Teilnahme an einer nicht angemeldeten oder verbotenen Versammlung.

Polizeifoto von Johann Vogl vom 4.12.1936 (Stadtarchiv Rosenheim)

Am 2. Dezember 1936 wurde Johann Vogl erneut festgenommen. Die Gestapo berichtete:

„Bei der heute in Raubling durchgeführten Aktion nach Abtreibern konnte festgestellt werden, dass der Leiter der ehemaligen Organisation ‚Einheitsverband für proletarische Sexualreform und Mutter­schutz‚ Johann Vogl, verheirateter Einzelhändler, geb. 27.3.1898 zu Rosenheim, wohnhaft in Schlossberg b. Rosenheim, als Verteiler dieser Abtreibungsgeräte in Betracht kommt….“

Am selben Tag schrieb die Schutzmannschaft Rosenheim dem Oberbürgermeister: „Vogl befindet sich vorerst für die Geheime Staatspolizei in Polizeihaft“.

Johann Vogl gab über sein Verhalten unter der NS-Dikatur zu Protokoll: „Seit meiner Entlassung aus der Schutzhaft habe ich mich nicht aktiv und illegal für die Bestrebungen der KPD. oder ihrer Unterorganisationen betätigt. Mit den Massnahmen und Einrichtungen der heutigen Staatsführung bin ich zwar größtenteils nicht einverstanden, ich verhalte mich aber trotzdem ganz passiv- Über die verschiedenen politischen Vorkommnisse und über diesbezügliche Artikel in den Tageszeitungen bilde ich mir meine ureigenste Anschauung. Auf Grund meiner Weltanschauung wende ich auch nicht den deutschen Gruß „Heil Hitler“ an, weil ich Niemandem vorheucheln will. (…)“

Zwei Tage später ließ Johann Vogl diesen Satz wie folgt ergänzen: „umsoweniger, als ich unbedingt zu Menschenrecht und Menschenwürde die Gewissensfreiheit rechne.“ Und er erklärte, „ich werde gegen meine Verhaftung und alle weiteren Vergewaltigungen (Haussuchung, Bestehlung, bezw. Beraubung der bei mir beschlagnahmten Gegenstände, Außerachtlassung aller wirtschaftl. Notwendigkeiten, Art der Unterbringung im Gefängnis usw.) mit Hunger protestieren.“

Am 23. Dezember 1936 – einen Tag vor Weihnachten – wurde Johann Vogl als „Schutzhäftling“ im Konzentrationslager Dachau eingesperrt und erhielt die Häftlingsnummer 11242. Als Vorname war Hans, als Beruf Gärtner angegeben. Bis zu seiner Ermordung am 27. März 1938 musste er im KZ leben.

Aus dieser Zeit sind 27 Briefe und Postkarten in Abschrift erhalten, die Johann Vogl aus dem KZ Dachau an seine Frau Maria schrieb. So gut es ihm möglich ist, nimmt er Anteil an den Geschehnissen in seiner Heimat und gibt seiner Frau praktische Ratschläge. Über seine Lebens- und Arbeits­bedingungen schreibt er nichts; die allgegenwärtige Zensur hätte dies nicht zugelassen. Am 30. Januar 1937 erwähnt er ein „selbstgefertigtes Bruchband“, das auf einen Leistenbruch infolge der körperlichen Schwerstarbeit hindeuten könnte, zu der viele Gefangene gezwungen wurden.

Im gleichen Brief schreibt er ebenso tapfer wie pragmatisch: „Quält Euch Ihr alle, besonders aber Du und Mutter, nicht mit Sorge und Mitleid; hier könnt Ihr mir nur mit dem Bewusstsein Eurer kameradschaftlichen Stärke und geldlicher Zuwendung helfen.“

 

Geholfen haben sicher auch die Postkarten, die seine Frau ihm schickte und die er in seinen Briefen öfter erwähnte. Die nach Dachau geschickten Exemplare sind nicht erhalten. Aber sehr wahrscheinlich war es das unten abgebildete Motiv, das Johann Vogl in seinem Brief vom 7.8.1937 erwähnte:

„Von dem Kartenbild war ich höchst überrascht; die so gut gewählte Erfassung der allseitigen Belaubung war mir rätselhaft und ließ mich nur langsam die Einzelheiten des Motivs erkennen. Ein gut gelungener Zauber. (…)“

Maria Vogl im Kiosk am Schlossberg, Juni 1937
(Postkarte, Privatbesitz)

Den letzten Brief schrieb Johann Vogl am 27. März 1938, an seinem 40. Geburtstag, der zugleich sein Todestag wurde. Er dankte seiner Frau für die übersandten Blumen, bat sie seinerseits, zum bevorstehenden 70. Geburtstag ihrer Mutter eine Passiflora zu besorgen, gab Ratschläge zu Versicherungszahlungen und schloss: „In Verbundenheit grüßt Euch alle herzlichst Euer Hans.“

Johann Vogl starb am 27. März 1938 um 13.15 Uhr in Dachau; genaue Informationen über die Todesumstände gibt es nicht. Aus heutiger Sicht besteht kein Zweifel daran, dass Johann Vogl in Dachau ermordet wurde.

 

Schicksal der Angehörigen

Johann Vogls Bruder Georg und seine Familie mussten „zahlreiche Schmähungen und Demütigungen hinnehmen“, wurden von der Kreisleitung der NSDAP überwacht. Wie sich der Neffe Leopold Vogl erinnert, wurde er in der Schule schikaniert und gezwungen, diese vorzeitig zu beenden und eine ungeliebte Berufsausbildung zu beginnen.

Johann Vogls Frau Maria musste hart um die Konzession für den Kiosk am Schlossberg kämpfen. Dazu war es nötig, den Eindruck zu erwecken, das Verhältnis zu ihrem Mann sei zerrüttet. Dieser schrieb ihr am 27.2.37 aus dem KZ: „Rate Dir einen Anwalt zu nehmen. Unsere Uneinigkeit soll Dir Leitfaden werden sogar wenn Trennung nötig. Handle so, dass Deine Zukunft gesichert ist. Bin mit allem einverstanden. Dein Hans.“

Maria Vogl folgte diesem Rat, doch zu einer Scheidung kam es nicht. Sie führte den Kiosk am Schlossberg weiter. Nach der Ermordung ihres Mannes heiratete sie den ebenfalls verwitweten Emmeran Fischer aus Vogtareuth, der zwei Kinder mit in die Ehe brachte. Seine Tochter Walburga übernahm den Kiosk nach dem Tod von Maria Fischer im Juni 1962 und betrieb ihn gemeinsam mit ihrem Mann bis zum April 1999.

Diesen Text als PDF downloaden: Gedenkblatt Johann Vogl DIN A3 (PDF)

Beitrag des Schulradios der Otfried-Preußler-Mittelschule zu Johann Vogl

Gestapo-Foto von Johann Vogl in Dachau 1937 (Archiv Dachau)