Ansprache von Amnon Rimon

Mein Name ist Amnon Rimon, ich bin der älteste Enkelsohn von Else Levy (geborene Frensdorff), einer Schwester von Miriam Block.

Meine erste Begegnung mit der Geschichte der Familie Block ist dreißig Jahre her – es war 1988 bei der Nürnberger Ausstellung über „Die Geschichte und Kultur der Juden in Bayern“, wo ein Foto von Lisi und eine Seite aus ihrem Tagebuch ausgestellt waren.

Nachdem ich 1980 ein Buch über die „Saga“ meines Vorfahren Ascher Levy gelesen hatte, war ich sehr interessiert an der Erforschung meiner Familiengeschichte. Ich begann die Geschichte von Lisis Tagebüchern zu verfolgen und hatte Unterstützung durch Asher Frensdorff, einen Cousin meiner Mutter, und indirekt durch meinen Onkel Dr. Klaus Hinrichsen und meine liebe Tante Gretel, die noch heute im Alter von fast 100 Jahren so viele Details über das Leben in den Dreißiger Jahren in Deutschland wiedergeben kann.

1993 wurden DIE TAGEBUECHER DER ELISABETH BLOCK veröffentlicht, und ich kaufte das Buch sofort.

Mein Deutsch war nicht gut genug, um das Buch Wort für Wort zu verstehe, aber ich ging es immer wieder durch und lernte viel über Lisi, die Blocks, die Frensdorffs und die Levys. Ich las von Fritz Block, dem Kampfflieger im Ersten Weltkrieg, von seiner Begegnung mit Miriam Frensdorff nach dem Krieg und von ihrer Heirat 1920 im Hachschara-Lager Landwerk-Halbe bei Berlin, wo sich junge idealistische Zionisten auf die Emigration nach Palästina (damals unter britischem Mandat) vorbereiteten.

1923 wurde Lisi geboren. Als ihre Mutter Miriam 1928 ihr drittes Kind erwartete, wurde Lisi nach Polzin geschickt, um in Haus meiner Großeltern einige Zeit mit meiner Mutter und ihren drei Schwestern zu verbringen, den „Mädels“, wie Lisi in ihrem Tagebuch schrieb. Diesen idyllische Teil ihres Lebens hat meine Tante Gretel geschildert. Auf dem Foto sehen wir Lisi, die „Mädels“ und das Kinderfräulein Lena bei einem Spaziergang im Kurpark von Bad Polzin.

Wir wir aus Lisis Tagebuch und den Berichten meiner Tante Gretel wissen, folgte Familie Block nicht der jüdischen Tradition, und die jüdischen Feiertage spielten in ihrem Leben keine Rolle.

Und dann änderte sich alles. Vor fast 80 Jahren wüteten die November-Pogrome, die sogenannte Kristallnacht. Am 10. November 1938 wurde mein Großvater Dr. Leo Levy in seinem Haus in Bad Polzin von SA-Verbrechern ermordet. Meine Großmutter Else musste zusehen.

Genau zur selben Zeit wurde in Caputh bei Berlin das jüdische Landschulheim zerstört und angezündet. Anne Frensdorff, eine Schwägerin von Miriam Block, musste mit ihren Söhnen Asher und Justus und mit „Omama“ Hulda Frensdorff aus dem Haus fliehen. Viele Jahre später erzählte mir Professor Asher Frensdorff, dass ihr Zuhause vollständig zerstört wurde und alle Kinder und Bediensteten zu Fuß 30 Kilometer durch dunkle Wälder bis nach Berlin flüchten mussten.

Im Februar 1939 machten zwei Gruppen von Angehörigen, die auf der Flucht nach Palästina waren,  unabhängig von einander eine kurze Zwischenstation in München. Die eine Gruppe bestand aus Hans Block (dem Bruder von Fritz Block) mit seiner Frau und seinen vier Kindern; die andere umfasste fünf Personen, von denen Lisi in ihrem Tagebuch berichtet:

„Montag, den 13., bis Donnerstag, den 16. Februar [1939] war Mutti in München, wo sie die Tage noch mit Großmutter, Tante Else, Tante Anne, Justus, Reinhold und Ruth Levy zusammen war, die am 16. weiter gefahren sind nach Palästina. Wir haben sie leider nicht mehr gesehen.“

Wie wir gehört haben, hat Lisi den letzten Eintrag in ihr Tagebuch am 8.3.1942 gemacht. Später in diesem Monat wurde die ganze Familie nach München-Milbertshofen – und von dort in den sicheren Tod nach Piaski in Polen verschleppt.

Im Jahr 2012 bekamen meine Recherchen einen neuen Impuls. Das Buch „Jüdische Flieger im Weltkrieg“ erschien in Israel in hebräischer Sprache. Fritz Block ist einer der jüdischen Piloten, die in diesem Buch erwähnt werden. Ich beschloss, seinen Bruder Hans zu suchen, dem im Februar 1939 die Flucht nach Palästina geglückt war. Er hatte sich in einem Kibbutz niedergelassen. Wie wir aus Briefen von 1951 wissen, hatte er lange versucht herauszufinden, was Fritz und seiner Famlie zugestoßen war. Das gelang ihm jedoch nicht.

Meine Bemühungen waren dagegen im Mai 2013 erfolgreich. Ich entdeckte Hans Block Tochter Ruth Kitai – Lisis Nichte – und besuchte sie und ihren Mann in dem Kibbutz, in dem sie lebten. Ruth hat vier Kinder und 12 Enkelkinder, die alle in Israel leben. Sie ist das letzte Mitglied der Familie Block, das sich noch an das Leben der Blocks und Frensdorffs in Hannover erinnert.

Deshalb bat ich Ruth Kitai kürzlich, mit uns zu der heutigen Gedenkveranstaltung zu kommen. Sie bedankt sich für die Einladung, kann aber auf Grund ihres Alters nicht kommen. Doch sie erzählte mir vom früheren Leben in Hannover und von Miriams Bruder Dr. Fritz Frensdorff, der ihr Kinderarzt war. 1938 nahm er sich das Leben, nachdem ihm die Nazis die Berufserlaubnis entzogen hatten.

Der Epilog der eingangs erwähnten Geschichte von Asher Levy trägt den Titel „Die Lebenden und die Toten“. Wir, die Enkel der Levys und der Frensdorffs, repräsentieren die Lebenden. Wir sind hierher gekommen, um unsere Familie zu vertreten, die dritte, vierte und sogar fünfte Generation nach Anne und Fritz Frensdorff, Else und Leo Levy und den Nachkommen von Hans Block. Wir sind gekommen, um an dieser Veranstaltung teilzunehmen und an unsere Verwandten zu erinnern, die nicht das Glück und das Privileg hatten, zu überleben und Kinder und Enkelkinder in dieser Welt zu haben: An Fritz und Miriam, Lisi, Trudi und Arno Block. Sie wurden vom verbrecherischen Regime Nazisdeutschlands ermordet.

Im Namen von Jacquie, von Dana, von Rachel und David, die hier im Saal sind, und im Namen meiner Tante Gretel, der Cousine Miriam Blocks und aller Verwandten, die nicht hier sein können, und in meinem eigenen Namen möchte ich Danke sagen.